Am Anfang stand die Frage:
“Wie kommen wir eigentlich von Cartagena in Kolumbien ins mittelamerikanische
Costa Rica?“
Mit dem Flieger?
Nicht schon wieder! Und vieel zu teuer...
Mit dem Bus?
No es posible! Es gibt keine Straßenverbindung von Nordkolumbien nach Südpanama. Dieser Landstrich ist in den Händen der Guerillas...
Mit dem Schiff?
Es gibt eine unbequeme und unsichere Fährverbindung.
Allerdings ist hier des Öfteren die Rede davon, dass gebuchte Touren einfach wieder gestrichen werden oder gern auch mal Ziel von Überfällen sind...
Der Grenzübertritt von Kolumbien nach Panama scheint somit eine der größeren Herausforderungen unserer Reise zu sein.
Udo begibt sich also auf Internetrecherche und wird nach einigen Stunden Durchwühlen von Reiseforen fündig:
Vorausgesetzt, man verfügt noch über etwas Zeit- (5 Tage) und Restreisebudget (550 $ pro Person), kann man sich in ein Segelschiff einmieten, welches einen von Cartagena bis ins panamaische Puerto lindo bringt, inclusive Vollverpflegung, Regelung aller Immigrationsformalitäten und einem 2,5-tägigen Aufenthalt auf dem karibisch-panamaischen San-Blas-Archipel.
Das klingt spannend!
Wir belesen uns über das San-Blas-Archipel und erfahren, dass es sich um eine Kette aus 365 (!) Inseln in der karibischen See handelt. Viele von ihnen sind unbewohnt, bisweilen nur winzige Ovale im Meer. Und selbst die bewohnten Eilande sollen wohl meist binnen zehn Minuten zu Fuß zu umrunden sein.
Auf den Inseln leben seit jeher die “Kuna“-Indianer.
Der Stamm der Kuna lebt in der Tradition des Matriarchats, d.h. dass der erwählte Mann bei der Familie der Frau einzieht. Rund 55.000 Kuna gibt es noch, ihr Stammesgebiet “Guna Yala“ ist geschützt und autonom und erstreckt sich über die San Blas-Inseln bis zum panamaischen Urwald auf dem Festland.
Die Kunas sollen - nach den Pygmäen- das zweitkleinste Volk der Welt sein!
Und höchst interessant finden wir die Flagge von “Guna Yala“:
Das abgebildete hakenkreuzartige Symbol mit nach links zeigenden Haken hat einen eigenen Ursprung.
Es stellt einen Kraken dar, der nach lokaler Überlieferung die Welt erschuf!
-
Wie stolz und furchtlos diese Menschen sind, zeigt das Beispiel, dass US-amerikanische Investoren, die Interesse an einigen karibischen Inselgruppen zeigten, von den Kuna vertrieben werden konnten, ohne dass die panamaische Regierung eingegriffen hätte. Wir erfahren, dass die Kuna-Indianer die Ethniengruppe Südamerikas darstellt, die bis heute am stärksten ihre kulturelle Identität bewahren konnte. Eine Christianisierung ist nie versucht worden.
Die Kuna glauben an weibliche Gottheiten. Sie haben Medizinmänner, die auch als Hellseher wirken, sie tragen Talismane und sie führen teilweise noch die Tradition der Azteken, Maya und Inka fort, indem sie - aus religiösen Gründen - Gold-Piercings tragen.
Das klingt alles so interessant und reizvoll, dass wir uns kurzerhand ohne große Diskussion für den 3.7. in das Segelboot “Sangria“ einbuchen.
Diesem wird nachgesagt, KEIN Jugendlichenbackpackerpartypeopleboat (woher nehmen die eigentlich die Kohle für solche Abenteuer?) zu sein.
Und es hat den Ruf, den besten Kapitäns-Koch zu haben, der die Gäste 3 mal am Tag mit südamerikanisch-italienischer Küche zu verwöhnen weiß.
Ich blende zu dieser Zeit völlig aus, dass ich ja eigentlich große Angst vor tiefen Wassern und riesige Angst vor Seekrankheit habe! Das wird mich am Tag der Abfahrt noch böse einholen in Form von nervenbedingten Magen-Darm-Problemen, die ich nicht weiter beschreiben möchte.
Aber mein Udo ist eben auch mal an der Reihe! Wie oft habe ich mich mit meiner panischen Angst vor psychopathischen Busfahrern und schwindelerregenden Anden-Serpentinen gegenüber Udos noch panischeren Flugangst durchgesetzt, wie oft musste er mit mir in den Flieger steigen, um 15- bis 25-stündige Nachtbusfahrten zu vermeiden...
und er freut sich wie Bolle auf unseren Segeltörn!
3.7.2017 - 20 Uhr:
Kapitän Mike empfängt uns an der Marina von Cartagena und weist uns ins Boot ein.
Wir, das sind wir und 7 andere amerikanische, holländische und polnische Mitreisende unterschiedlichen Alters - eine angenehme Mischung und eine gute Reisegruppe, wie sich in den 5 Tagen herausstellt. Was für ein Glück, nicht auszudenken, wie so eine Reise verlaufen kann, wenn man für so lange Zeit auf einem relativ kleinen Segelschiff mit Leuten eingefercht ist, die einen innerhalb kürzester Zeit nerven...
Wir beziehen unsere Kojen (2m x 1,50) und lernen, Schiffstoiletten zu bedienen (Schalter bedienen, Salzwasser mittels Handhebelpumpe einsaugen, Geschäft machen, Schalter umlegen, mittels Handhebelpumpe alles raus ins offene Meer pumpen und bloß nicht den Schalter falsch bedienen, dann kommt dir alles entgegen...)
Wir warten auf die kolumbianische Polizei, die unser Reisegepäck nach Drogen durchsuchen soll. Nach 2 Stunden wird klar, da kommt niemand, also alles rein in den Schiffsrumpf.
Unser Reisegruppenmitglied Ben aus Las Vegas nutzt die Zeit, um den Alkoholproviant für die Reise zu besorgen, ohne dass wir ihn darum gebeten haben. Die Rechnung von ca. 400 Dollar nimmt er selbstverständlich auf seine Kosten...
Nach kurzer Reisezeit wird klar, warum Ben in solcher Feierlaune ist:
Die nicht erschienende Polizei fand nicht die kleinen Päckchen “Backpulver“ in seinem Handgepäck, die ihm die nächsten 5 Reisetage versüßen und uns einen ständig lachenden und witzigen, zu jedem Schabernack bereiten Gruppenclown bescheren werden. Und sollte doch noch eine Drogenkontrolle vorbeikommen, so what, dann wandern die Tütchen eben kurzerhand durch das Kojenfenster im strahlend blauen Meer...
23:00 Uhr:
Das Boot legt ab. Ich werfe mir vorsorglich die erste Reisetablette ein und schwanke zur Koje, in panischer Angst vor den kommenden nächtlichen Stunden. Ich begebe mich in die Horizontale und warte auf das Grauen, während Udo mit Ben und den Anderen mehrmals auf das Auslaufen des Bootes anstößt.
2:00 Uhr Nachts:
Die “Sangria“ ist mittlerweile auf offener See und es schaukelt gewaltig.
Ich liege noch immer wach auf meiner harten Matraze und stelle fest, dass mir noch immer nicht so richtig schlecht ist. Irgendwie kommt mein Körper - zumindest in Liegeposition - ganz gut mit den Schaukelbewegungen klar. Udo und Ben stoßen immer noch an und 2 Köpfe der neunköpfigen Reisegruppe hängen bereits über der Reeling.
4.7.2017
von morgens bis abends:
Wasser, Wasser, Wasser...
Wellen, Wellen, Wellen...
Sonne, Sonne, Sonne...
Gute Zeiten auf Deck.
Schlechte Zeiten unter Deck.
Mike verwöhnt uns mit leichter, leckerer Kost. Kaffee und Alkohol sind tabu.
Der Höhepunkt des Tages: Delfine begleiten unser Boot für 15 Minuten. Wie schnell sie sind, uns immer ein paar Meter voraus.
Szenen einer Überfahrt:
Wir gehen früh ins Bett. Morgen früh werden wir die San Blas Inseln erreichen
😀😀😀
5.7.2017
7.00 Uhr Morgens:
Wir treffen uns auf dem Bug, die Nase im Wind, die frühen Sonnenstrahlen genießend. Jeder will der/die Erste sein, der/die Inseln entdeckt. Mike verkürzt uns die Wartezeit mit frischem Kaffee und Biomüsli.
09.00 Uhr:
Die ersten Inseln tauchen auf, wir erkennen von Weitem die großen Palmen.
10.00 Uhr
Wir sind im Archipel angekommen. Schlagartig verschwinden die hohen Wellen, die See wird ruhig. Überall, wie Tupfer im Meer verstreut, liegen kleine Inseln, palmenbewachsen, weiße Strände, vereinzelt erkennt man 2-3 palmenblattbedeckte Hütten, Einbaumboote liegen am Strand.
Wir kriegen den Mund nicht mehr zu, es ist schöner als wir es uns vorgestellt haben.
Bilderbuch-Karibik!
Und wir hier, mittendrin, einsam mit unserer “Sangria“. Meine Güte, es hat sich gelohnt, die Pein der letzten 2 Tage ist schlagartig vergessen.
Mike holt die Segel ein.
Und wir dürfen ENDLICH ins Wasser!!!
Während wir schnorcheln, an Land schwimmen, um die Insel laufen, Riesenmuscheln finden, uns in den weißen cremigen Korallensand legen und immer und immer wieder ins Wasser hopsen, besorgt Mike von den Kunas auf der Nachbarinsel frisch ertauchte Langusten und bereitet einen Traum-Lunch vor, der Weißwein kühlt bereits.
Und so geht es bis zum Abend, am nächsten Tag und am Folgetag. Ein Mix aus Baden, Schnorcheln, Essen und Sonnen. Wir segeln täglich 2 Inseln an.
Nicht immer finden wir paradiesische Zustände vor.
Das Meer treibt Plastikmüll an die Strände der kleinen Eilande. Touristenboote hinterlassen Müll auf den Inseln und die Einwohner selbst produzieren vielleicht auch mittlerweile den einen oder anderen Restmüll. Vorbildhafte Inselbewohner sammeln ihren Müll und bewahren ihn in Säcken zwischen den Palmen auf bis zur Abholung, die nur EINMAL im Jahr erfolgt.
Gleichgültige Inselbewohner tun dies nicht und vermüllen ihr Eiland, ihr Zuhause.
6.7.2017
Am vorletzten Tag überrascht uns Mike mit einem Barbecue am Strand einer wunderschönen kleinen Insel.
Hier leben zwei Kuna-Familien.
Wir haben die Möglichkeit, sie zu besuchen und ihre handgefertigten Mola-Tücher zu bestaunen. Dies sind traditionelle Näh-Kunstwerke, meist in Handarbeit gefertigte rechteckige Motivbilder. Die Molas werden auf Vorder- und Rückseite genäht. Sie bestehen aus Stoffresten, die in zwei bis sieben Lagen miteinander vernäht werden und durch Heraustrennen und Umnähen von einzelnen Flächen ein Motiv ergeben.
Wir erwerben 2 schöne Exemplare und wir Mädels lassen uns noch ein Perlen-Armband legen. Die Kuna-Frauen tragen diese Perlenarmbänder als traditionellen Schmuck an Armen und Beinen, sie bedecken die Waden und die Unterarme, das sieht sehr schön aus.
Und tatsächlich sind die Kunas sehr kleine zierliche Menschen. Die Frauen haben fesche Haarschnitte, meist Kurzhaarschnitte. Die Kinder sind bildhübsch und über allen Gesichtern liegt eine Zufriedenheit und Ruhe. Die Menschen wirken glücklich mit ihrem Leben. Sie haben ihre Hütte, ihre Boote, das Meer, ihre Palmen und das kostbare Gut ZEIT scheint es hier im Überfluss zu geben. Natürlich versuchen sie, ihre Kunst oder gefangene Fische an die touristischen Besucher zu bringen, um sich ein paar Dollar zusätzlich zu verdienen. Sie leben ansonsten größtenteils vom Tauschhandel.
Das Barbecue ist ein Volltreffer.
Mike grillt Rippchen und Rind über offenem Feuer, während wir durch den Palmengarten schlendern und die Riesenmuscheln bestaunen, die als Wegzierung vom Strand zum Kuna-Haus führen.
Dank Bens anfänglichem Kaufrausch dürfen wir dazu dann noch einen köstlichen vino tinto schlürfen 👍
Danach gibt's nochmal eine Schorcheltour und ich begegne meinem ersten Manta-Rochen!
Wow, er schwimmt, nein FLIEGT unter mir über den Meeresboden, sein Schwanz/Stachel ist 3m lang. Ich verfolge ihn 10 Minuten, dann verschwindet er in den blauen Tiefen.
7.7.2017
Nun segeln wir bereits seit 3 Tagen durch's panamaische Archipel und sind offiziell noch nicht aus Kolumbien ausgereist. Heute also ist Formalitätenkram angesagt. Unser Empfang bei der panamaischen Immigrationsbehörde ist allerdings weniger freundlich und ein besonderer “Grenzübertritt“.
Wir segeln am Morgen des letzten Tages sehr früh in Richtung “Isla de la Migración“ - tatsächlich steht mitten im Archipel ein “Grenzhäuschen“ auf einer kleinen Insel. Unser Crewmitglied Jaime macht sich mitsamt all unseren Pässen in einer wasserdichten Schachtel plus “Eintrittsgebühr“ (20 $) und dem Beiboot (Schlauchboot!) paddelnd auf den Weg zur Insel, während Mike uns die Wartezeit mit einem Crepe-Obst-Frühstück versüßt.
Leider spielt das Wetter heute nicht mit.
Es windet und stürmt und ein dickes Gewitter zieht über uns hinweg. Die Blitze schlagen im Meer ein und der Himmel kracht. Jaime kommt zurück, ein Kuna-Indianer holt ihn mit seinem Einbaumboot vom Ufer ab, das Schlauchboot wird hinten angebunden. Die Strömungen sind extrem und es wäre Jaime nicht gelungen, mit dem Schlauchboot zu unserem Segelschiff zurückzukommen. Kaum angekommen, löst sich das Schlauchboot aus der Halterung und treibt mit der Strömung vom Schiff weg.
Unser Vegas-Boy Ben hat sich wohl in seiner Koje gerade wieder eine kleine “line“ Backpulver genehmigt, um seine Laune aufzupuschen, und springt unvermittelt und wagemutig ins Wasser, um das Schlauchboot zu retten.
Ich rufe Udo zu, er solle Ben helfen und bereue dies im selben Moment, denn schon ist Udo im Wasser und schwimmt zu Ben und dem abtreibenden Schlauchboot. Ein sinnloser, gefährlicher Kampf gegen die Naturgewalten beginnt: Udo zieht sich ins Schlauchboot und versucht zu paddeln, Ben bindet sich die Leine um den Bauch und versucht zu ziehen. Keine Chance. Die Strömung ist zu stark, sie kommen keinen cm voran. Irgendwann gehen ihnen die Kräfte aus und sie lassen sich zu einem nahe ankernden Schiff treiben, um Kräfte zu sammeln und im Einbaum zu uns zurück zu schwimmen.
Wieder bei uns an Bord, gibt's von Kapitän Mike Schelte ob der waghalsigen Aktion, die hätte schlimm ausgehen können. Solcher Übermut - Männer halt....
Das Gewitter hält stundenlang an, noch länger jedoch dauert es, jeweils einen Ausreisestempel aus Kolumbien und einen Einreisestempel nach Panama in NEUN Pässe zu drücken. Die Herren von der Migración wollen uns offenbar zeigen, wer hier auf dem Archipel die wahren Herrscher sind und lassen uns sage und schreibe 8 Stunden schmoren. Um 15.30 kommt der Anruf, dass die Pässe von der Insel abgeholt werden können.
Die ganze Situation ist unserem Captain so unangenehm, dass er uns anbietet, die Reise zu verlängern, um uns noch ein paar schöne Inselmomente zu gönnen.
So verbringen wir diesen Abend angelnd und den nächsten Vormittag badend auf Insel Nummer 6, bevor das Schiff am 8.7. mittags ausläuft, um die letzten knapp 100 km bis zum panamaischen Festland zu überwinden.
-
Nach 7 Stunden Überfahrt auf offener See mit 2 Motorausfällen (die uns sofort um mehrere km von der Route abtreiben lassen), die Nasen im Wind und die Crew anfeuernd, wieder begleitet von einer Delfinschule (mit Baby), landen wir jubelnd zwischen Urwald-behangenen Felsinseln am Hafen Puerto Lindo in Panama an.
Wir haben es geschafft!
Wir sind 600 km über die Karibik gesegelt!
Wir haben Seekrankheit und Unwetter überstanden!
Wir haben ein Inselparadies besuchen dürfen!
Wir haben dem südamerikanischen Kontinent den Rücken gekehrt und sind nun in Mittelamerika. Costa Rica, das Endziel unserer großen Reise, wartet auf uns.
Muchisimas gracias,
Captain Mike,
für dieses wunderbare Erlebnis!!!